Dienstag, 22. September 2009

Autobiographische Notiz aus meiner Kindheit

Müde von der Schule sitze ich im Bus und fahre nach Hause. Gedankenverloren schaue ich aus dem Fenster. Der Himmel ist mit grauen Regenwolken verhangen, aber die Strassen sind trocken. Bäume, Häuser, Autos ziehen an mir vorbei. Zwischendurch hält der Bus an, um Leute ein- und aussteigen zulassen. Nach etwa fünf Minuten, fährt der Bus an einem grossen Häuserblock vorbei. Die frischgestrichene, grelle, weisse Fassadenfarbe blendet, trotz dem trüben Wetter. Die hellen, türkisen Balkone der oberen Stockwerke hingegen sehen immer noch gleich aus wie vor zehn Jahren. Auf der einst so schönen, sattgrünen Wiese, die jetzt braun und schlammig ist, stehen die Kisten und Eimer der Bauarbeiter herum. Das kleine Blumenbeet mit dem grossen Rosenstock, den meine Mutter immer mit viel Freude gepflegt hat, ist nun von Unkraut und Gestrüpp überwuchert.

Die Busscheibe ist beschlagen von meinem Atem. Alles verschwimmt vor meinen Augen. Ich kann nur noch Umrisse erkennen, welche aber auch immer unklarer werden. Ein helles Licht blendet mich plötzlich. Ein Grünton mischt sich zu dem Licht und lässt mich meine Augen zusammenkneifen. Langsam wird das Licht schwächer und ich öffne meine Augen.
Ich stehe auf einer dunkelgrünen, mit weissen Blumen gesprenkelten Wiese. Die Sonne wärmt mein Gesicht. Etwas kitzelt meinen Fuss. Als ich an mir hinunter schaue, sehe ich wie eine Ameise über zwei kleine Füsschen krabbelt. Ich gehe in die Knie und nehme das kleine zerbrechliche Tierchen auf die Hand. Die Ameise hat eine dunkelbraune, nahezu schwarze Farbe. Ich lasse sie über meine Hände und Arme spazieren und beobachte sie dabei ganz genau. Plötzlich steht mein Bruder neben mir. Er mustert das Tierchen interessiert und fragt mich, ob er die Ameise auch mal halten dürfe. Ich lasse sie auf seinen Arm spazieren und sie macht sich sofort auf Erkundungstour. Sie läuft über seine kleinen dicken Händchen und besteigt jeden Finger einzeln. Wir verfolgen den Weg dieses kleinen Wesens weiterhin mit grossen, gespannten Augen. Als unsere Ameise zum zweiten mal den kleinen Finger meines Bruders besteigt, sagt dieser:"Anna."
Wir spielen den ganzen Nachmittag mit Anna. Lassen sie auf uns herumspazieren, tropfen Wasser auf unsere Haut, damit sie trinken kann und erfreuen uns an ihrer unermüdlichen Energie und Neugierde.
Als es langsam kühler wird, gehen wir nach drinnen. Doch unsere Mutter ist nicht sehr erfreut darüber ein neues Haustier zu haben, schon gar keine Ameise. Sie sagt, wir sollen sie nach draussen bringen. Aber wir können Anna doch nicht einfach alleine draussen lassen. Es ist unterdessen empfindlich kühl geworden, es ist ja erst Frühling und ausserdem würden wir sie da draussen nie mehr wieder finden. Schliesslich lässt sich unsere Mutter milde stimmen und holt eine Kartonschachtel. Im Halbdunkeln suchen wir ein paar Blätter und Gräser, die wir in die Schachtel legen. In eine Ecke streuen wir etwas Sand, wir tropfen Wasser auf ein Blatt und legen ein Stück Apfel dazu. Inzwischen ist es schon ziemlich spät geworden, mein Bruder und ich wünschen Anna eine gute Nacht und gehen schliesslich ins Bett. Vor dem einschlafen bete ich noch und bitte Gott auf Anna aufzupassen.

Am nächsten Morgen ist die Schachtel leer, Anna ist weg. Das Wasser ist auch nicht mehr da und ich wundere mich, wie soviel Wasser in ein so kleines Tier passt. Aber mein Vater meint, es sei nur verdunstet. Mein Bruder ist traurig, dass Anna nicht mehr da ist. Aber ich verstehe, dass sie gegangen ist. Schliesslich hat sie sicher eine Familie zu der sie zurück musste. Und ich weiss, dass ihr nichts passieren wird. Gott passt ja auf sie auf.
Doch auch das tröstet meinen Bruder nicht richtig. Er meint, Gott könne nicht auf alle Ameisen dieser grossen Welt aufpassen, dazu gäbe es viel zu viele. Ich schaue in seine enttäuschten, von Tränen glitzernden Augen und möchte ihn am liebsten in den Arm nehmen um ihn zu trösten. Doch als ich meine Arme um seinen kleinen Körper legen will, beginnt er sich aufzulösen. Er wird immer mehr von einem grauen, zähen Nebel zerfressen. Kurz bevor auch der Kopf im Nichts des Nebels verschwindet, sagt mein Bruder noch:"Dä Anna iri Familie froit sich sicher, dass sie wider do isch, gäll?!"
Ich nicke nur und ein kurzes, zufriedenes Lächeln durchzuckt sein rundes Gesicht, bevor auch dieses vom Nebel verschluckt wird. Dann wird alles still und um mich herum ist es nur noch schwarz.

Ich öffne meine Augen, die ich wohl die ganze Zeit über geschlossen hatte. Meinen Rucksack umklammernd sitze ich nun da, völlig benommen. Die Leute starren griesgrämig aneinander vorbei. Alles hat einen Graustich. Es ist, als wären all die leuchtenden Farben aus meiner Erinnerung unter einem grauen Tuch verschwunden. Niemand sagt ein Wort, es herrscht eine unheimliche Stille im Bus. Die Leute sitzen da wie in Wachs gegossen. Nur eine ältere Frau, zwei Sitze vor mir, versucht eine Fliege abzuschlagen. Allerdings ohne Erfolg, was mir eine innere Genugtuung verschafft. Ich wundere mich über die Menschheit und steige aus. Nachdenklich, aber mit einem Lächeln auf dem Gesicht gehe ich nach Hause. Den Blick immer zum Boden gerichtet, bedacht darauf, nicht auf eine Ameise zu treten.

Montag, 14. September 2009

Vergleich Seghers/Kaschnitz

In der Erzählung gefällt mir, dass sie aus Nettys Augen geschrieben ist. Es auch mehr Beschreibungen über die darin vorkommenden Personen und die Umgebung. Das hilft mir mich besser in Nettys Rolle versetzen zu können.
In der Geschichte "das dicke Kind" hingegen wirkt alles sehr distanziert, was daran liegen könnte, dass die Erzählerin sich selbst als Kind nicht wiedererkennt. Die düstere Stimmung von Dämmerung und Kälte macht das ganze auch nicht viel gemütlicher.
In Seghers dagegen ist es Sommer und schönes Wetter. Das ganze basiert auf dem Schulausflug, welcher ein schönes Erlebnis war. Sie erzählt zwar immer wieder von den harten Schicksalen ihrer Freunde, aber es scheint mir irgendwie weit weg, weil es sozusagen "nur" eine Erinnerung in der Erinnerung ist. Mir persönlich gefällt deshalb "der Ausflug der toten Mädchen" von Anna Seghers besser .

Samstag, 5. September 2009

Nettys Schicksal

Nach dem frühenTod ihres Vaters, lebt Netty mit ihrerMutter und ihrer Schwester in Mainz. Die Mutter leidet sehr unter dem Tod ihres Mannes. Damals ahnt Netty noch nicht, dass sie immer wieder von den Nazis verfolgt werden würde und ihre Mutter 1919 in einem Konzentrationslager sterben wird. Mit 20 Jahren wird Netty ihren jüdischen Freund Johannes Neugebauer heiraten. Zusammen werden sie ihre drei Kinder grossziehen wollen. Doch es sollte anders kommen...
Als Nettys Schwester 1930 nach Frankreich flüchten wird, wird Netty gerade ihr drittes Buch herausgeben. Sie wird bis dahin auch viele kritische Berichte über den Zweiten Weltkrieg verfasst haben. Dies wird zur Folge haben, dass die Familie untertauchen muss. Fünf Jahre später werden sie es endlich zu Nettys Schwester nach Paris schaffen. Dort wird Netty sich einen andern Namen zulegen. Sie wird ab nun Anna Seghers heissen. Als Hitlers Truppen Frankreich immer mehr besetzen, wird es für die Familie sehr kritisch werden. Annas Mann wird in ein KZ gebracht werden. Bei einem nächtlichen Bombenangriff wird ihr ältester Sohn sterben.
1940 wird sie mit ihren zwei verbleibenden Kindern und ihrer unterdessen verheirateten Schwester nach Mexiko flüchten. Dort wird sie mit ihrer grossen Leidenschaft, der Arbeit als Schriftstellerin fortfahren. Nachdem sie ein Jahr im mexikanischen Exil sind, wird die Nachricht eintreffen, dass der Mann ihrer Schwester in Frankreich gefallen sei. Diese wird sich sehr grosse Vorwürfe machen, ihre Schuldgefühle nicht ertragen und sich deshalb, ein halbes Jahr später, das Leben nehmen. 1943 wird Anna Seghers bei einem Autounfall schwere Verletzungen erleiden. Während der langen Zeit ihrer Genesung, wird sie Zeit haben ihre Vergangenheit zu verarbeiten. Die Arbeit an ihrer Autobiographie "Der Ausflug der toten Mädchen" wird ihr dabei sehr helfen.